Kein anderes Adjektiv kann nach dem Autoverkauf für so viel Ärger sorgen wie das kleine Wort ‚unfallfrei‘. Ursache dafür ist oft, dass viele Automobilverkäufer die falsche Vorstellung von einem Unfall haben. Für sie ist es ein typischer Blechschaden. Ganz so einfach ist nicht.
Gemäß Duden: ‚Unfall‘
„den normalen Ablauf von etwas plötzlich unterbrechender Vorfall, ungewolltes Ereignis, bei dem … Sachschaden entsteht“.
Diese Beschreibung legt die Art des Vorfalls und den Umfang des Sachschadens nicht fest. Die Rechtsprechung sieht es ähnlich, findet aber selbst keine eigene, konkrete Definition für einen Unfallschaden oder bis wann ein Kfz noch als unfallfrei gilt. Stattdessen wird der Begriff der ‚Bagatelle‘ ins Spiel gebracht.
Wann ist ein Auto unfallfrei?
Als unfallfrei gilt jedes Fahrzeug, welches keinen Unfallschaden erlitten hat, der über eine Bagatelle hinausgeht. Im Allgemeinen beschreibt die Bagatelle einen geringfügigen Schaden, der den Wert des Wagens nicht nachhaltig mindert, den selbst ein Laie einschätzen kann und der die Kaufentscheidung eines Interessenten nicht beeinflusst. Das BGH-Urteil vom Oktober 2007 (VIII ZR 330/06) geht deutlich weiter und sieht darin einen Schaden, bei dem nur der Lack verletzt ist. D.h. ausschließlich kleine, oberflächliche Lackkratzer ohne eine Beschädigung der darunter liegenden Oberfläche.
Daraus ergeben sich zwei Zustände:
- Das Fahrzeug ist unfallfrei, wenn es noch nie einen Sachschaden erlitten hat oder wenn es einen Lackkratzer besaß, der korrigiert wurde.
- Das Fahrzeug ist nicht unfallfrei, falls es Dellen oder einen anderen Schaden hat oder hatte, der über einen Bagatellschaden hinausgeht.

Versicherungen und Werkstätten bewerten eine Bagatelle anders. Für sie sind es üblicherweise Unfallschäden, bei denen es zwar zu Blechschäden kam, aber keine tragenden Teile in Mitleidenschaft gezogen wurden. Oder Sachschäden deren Instandsetzungskosten unterhalb einer Bagatellgrenze von 1.000 Euro liegen. Aus dieser Sichtweise heraus ist ein nicht unfallfreies Kfz nicht zwangsläufig auch ein Unfallfahrzeug. Dieser Standpunkt ist beim Verkauf eines Autos nicht maßgebend. ‚Unfallwagen‘ ist kein Begriff, der gesetzlich normiert ist.
Wer im Kaufvertrag beim Punkt ‚unfallfrei‘ ein Häkchen setzt oder dies schriftlich darin aufnimmt, geht eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 I 1 BGB ein und sichert dem Vertragspartner rechtlich verbindlich zu, dass das Auto nicht mehr als einen reparierten Bagatellschaden besitzt. Wird diese Eigenschaft im Vertrag nicht explizit erwähnt, kann der Käufer erwarten, dass ihm ein per Definition unfallfreies Fahrzeug übergeben wird. Ist das nicht der Fall, kann er Sachmängelrechte geltend machen, selbst wenn der private Verkäufer einen Gewährleistungsausschluss festgelegt hat. Der Hinweis in einem Inserat, der Wagen sei frei von Unfallschäden ist keine Beschaffenheitsgarantie.
Alle Schäden, die über das von der BGH festgelegte Maß eines Bagatellschadens hinausgehen, d.h. bereits der kleinste Blechschaden sind offenbarungspflichtig und dem Käufer ausnahmslos mitzuteilen. Das gilt auch für den Fall, dass ein Anbieter aufgrund einer festgestellten höheren Lackdicke einen möglichen Vorschaden annimmt, da dies Arglist vermuten lässt. Selbst fachgerecht erfolgte Unfallreparaturen sind von der Offenbarungspflicht nicht ausgenommen. Denn dem Fahrzeug haftet weiterhin der Makel und Mangel an, einen Unfallschaden gehabt zu haben. Unabhängig davon, ob der zu einer Wertminderung führt oder nicht.
Beispiele aus der Praxis:
Unfallfrei |
|
das Fahrrad kippt in der Garage um oder ein Einkaufswagen rollt auf dem Supermarktparkplatz gegen das Auto. Es entsteht eine deutliche Delle aber kein Lackschaden |
|
ein Stein oder ein Vogel trifft bei der Fahrt über die Autobahn die Frontscheibe oder zerbricht eine Streuscheibe ohne weitere Schäden zu verursachen. Scheibe bzw. Scheinwerfer wurden ersetzt. |
|
die Seite des Autos wurde mit einem Schlüssel zerkratzt. Es muss mehr als nur eine kleine Stelle nachlackiert werden |
|
ein eingedrückter Kotflügel wird ersetzt oder gerichtet und neu lackiert |
|
der Außenspiegel touchiert eine Wand oder ein anderes Auto und muss ersetzt werden |
|
eine beschädigte Tür, eine Haube oder ein Kofferraumdeckel werden ausgetauscht. Es liegen keine weiteren Schäden vor |
|
Gewerbliche Händler müssen Käufer informieren, falls sie das Fahrzeug nicht auf Unfallschäden untersucht haben trotz der Tatsache, dass sie nicht zu einer Untersuchung verpflichtet sind. Erfolgt dieser Hinweis nicht und das Automobil wird dennoch als ‚unfallfrei‘ verkauft, wird von einem Vorsatz und somit arglistiger Täuschung ausgegangen.
Jeder Verkäufer tut gut daran, die Karten auf den Tisch zu legen und sämtliche Unfallschäden und Reparaturen offenzulegen egal davon wie unbedeutsam sie zu sein scheinen. Nicht nur weil viele Unstimmigkeiten bei Rechtsanwälten und eventuell sogar vor Gericht landen. Durch ihre Offenlegung wird der ‚Kenntnis des Käufers‘ (§ 442 Abs. 1 BGB) entsprochen, die eine weitere Haftung des Verkäufers ausschließt.
Wer kauft schon einen ‚Unfallwagen‘? Diese Sorge ist verständlich. Spielt die Eigenschaft ‚unfallfrei‘ doch eine wichtige, wenn nicht die entscheidende Rolle beim Kauf eines Gebrauchtfahrzeugs.
Käufer sind verunsichert. Selbst bei einer Reparatur durch einen autorisierten Vertragshändler bleibt ihnen oft ein Restzweifel, ob der Schaden möglicherweise zukünftige Folgen haben könnte. Der Wert des Kfz wird dadurch auch negativ beeinflusst. Das BGH-Urteil aus 2007 hilft Käufern nur bedingt, denn seit der Entscheidung ist der überwiegende Anteil der auf dem Gebrauchtwagenmarkt offerierten Pkw nicht mehr als ‚unfallfrei‘ zu bezeichnen.
Unfallfrei laut Vorbesitzer
Der Bezug auf einen vorherigen Besitzer ist eine Floskel. Sie sagt im Grunde nichts aus. Es wird durch sie weder festgestellt, ob das Fahrzeug einen Vorschaden aufweist oder nicht. Dieser Fakt ist unbekannt und bleibt in der vertraglichen Vereinbarung offen. Eine Beschaffenheitsvereinbarung kommt durch diesen Hinweis nicht zustande. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer „Wissensmitteilung“. Der Verkäufer gibt lediglich das weiter, was ihm beim Kauf mitgeteilt wurde. Von jeglicher Haftung spricht ihn der Hinweis aber nicht frei. Er haftet dafür, dass ihm die Unfallfreiheit vom Vorbesitzer wirklich und im vollen Umfang zugesichert wurde und falls er den Käufer durch eine falsche Aussage arglistig täuscht.
Jeder Autokäufer darf davon ausgehen, dass das erworbene Fahrzeug frei von (reparierten) Unfallschäden und sonstigen Mängeln ist, falls nicht anders vereinbart. Weist es welche auf, die über einen Bagatellschaden hinausgehen liegt ein Sachmangel vor, den der Verkäufer zu verantworten hat.
Hagelschaden und sonstige technische Mängel

‚Unfallfrei‘ lässt keinen Rückschluss darüber zu, ob nicht andere Mängel, ob repariert oder nicht, vorhanden sind. Ein Hagelschaden wird typischerweise nicht als Unfall interpretiert. Unterliegt er darum nicht der Offenbarungspflicht? An sich nicht. Unter die Offenbarungspflicht fällt jeder Mangel, ob es ein technischer, optischer oder sonstiger ist, den ein Käufer nicht bereits kennt. Dellen auf Dach und Hauben, die ihm bei der Besichtigung eindeutig ins Auge stechen, fallen nicht darunter. Das gilt auch für den Fall, in dem ein Hagelschaden bei einem Gebrauchtwagen per Smart Repair vollständig korrigiert wurde, selbst wenn es dabei zu Nachlackierungen kam. Wurden die Arbeiten aber nicht technisch einwandfrei durchgeführt, besteht ein Sachmangel, über den er informiert werden muss. Da die Qualität einer solchen Reparatur nur von einem Kfz-Sachverständigen wirklich beurteilt werden kann, ist zu empfehlen auch reparierte Hagelschäden zu offenbaren.
Wird im Kaufvertrag ‚keine sonstigen Schäden‘ angekreuzt oder schriftlich darauf hingewiesen, dass bei dem Fahrzeug keine vorliegen geht der Verkäufer eine Beschaffenheitszusicherung (§ 434 I 1 BGB) ein. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass eine reparierte Hagelbeschädigung, Nachlackierungen oder weitere technische Mängel existieren kann er hierfür haftbar gemacht werden.
Ob mit Gewährleistungsausschluss oder ohne, er hat dem Käufer ein Auto zu übergeben, welches den vertraglich zugesicherten Eigenschaften entspricht.